Prof. Dr. med. R. Klapdor

Ergänzungen 2018
zur 3. Auflage des Buches „Tumorerkrankungen der Bauchspeicheldrüse“ (2013)

Teil B


Anmerkungen zur sequentiellen Therapie und
Verlaufskontrolle des fortgeschrittenen Pankreaskarzinoms

Wie im Teil A beschrieben, haben die klinischen prospektiven randomisierten Studien der letzten Jahre bestätigt, daß Zweit-Linien-Therapien den Patienten mit Pankreaskarzinomleiden angeboten werden sollten. Denn wenn der Allgemeinzustand der Patienten Zweit-Linien-Therapien nach Abschluß einer Erst-Linien-Therapie noch erlaubt, dann helfen sie die Überlebenszeit und die Lebensqualität zu verbessern, unabhängig von dem Effekt der Erst-Linien-Therapie.

Vor ca 10 Jahren (2007) waren die Verantwortlichen für die `S3-Leitlinien zur Diagnostik und Therapie des exkretorischen Pankreaskarzinoms` in ihrer Empfehlung noch deutlich zurückhaltender (`Bei Versagen der Erstlinientherapie kann eine Zweitlinientherapie durchgeführt werden, wenn……`) - obwohl es damals bereits Ergebnisse gab, die auf die Vorteile eines sequentiellen Therapieangebotes für die Patienten mit Pankreaskarzinomen hinwiesen.

Bereits vor gut 15 Jahren, um das Jahr 2000, konnten wir mit unseren prospektiven, allerdings nicht randomisierten Therapien unserer Patienten mit Pankreaskarzinomen zeigen,daß die Überlebenszeit dieser Patienten mit der Zahl der wirksamen Chemotherapie-Schemata ansteigt. Bereits damals erreichten wir mit unserem Konzept einer „effizienz-orientierten sequentiellen Polychemotherapie“ mediane Überlebenszeiten von ca. 11 Monaten, auch für fortgeschrittene metastasierte Tumore. Diese unsere damaligen Überlebenszeiten waren nicht schlechter als die heutigen, die für die unter Teil Aaufgeführten jüngsten klinischen Studien (FOLFIRINOX, Gemcitabine+ ABraxane®) berichtetwurden.

Es muß daher diskutiert werden, daß die Empfehlung der Verantwortlichen der `S3-Leitlinienzur Diagnostik und Therapie des Pankreaskarzinoms`, nur Ergebnisse von prospektiven randomisierten klinischen Studien für Empfehlungen für den breiten klinischen Einsatz vonChemotherapien heranzuziehen, damit über ca. 15 Jahre zu einer Unterversorgung vielerPatienten mit einem Pankreaskarzinom geführt hat. Das dürfte zumindest für diejenigen Patienten gelten, die in den letzten Jahren an den prospektiven randomisierten Studien inden Kontroll-Armen teilgenommen haben, d.h. für die Hälfte der in derartige Studien aufgenommenen Patienten. Denn in diesen Studien betrug die Überlebenszeit in den Kontrollgruppen, auch noch in der FOLFIRINOX- und in der Gemcitabine + nab-Paclitaxel Gruppe der Jahre 2013/2014, nur ca 6-7 Monate - das entspricht der Überlebenszeit unserer Patienten, die im wesentlichen nur mit einem Therapieschema behandelt wurden bzw.werden konnten.

Die Basis unseres Konzeptes einer „effizienz-orientierten sequentiellen Polychemotherapie“ war und ist eine engmaschige Verlaufskontrolle sowohl in der adjuvanten Phase als auchunter palliativer Tumortherapie. Sie bestand/besteht aus einer Untersuchung mit einem bildgebenden Verfahren (CT oder/ MRT) zumindest alle 2 Monate und der Bestimmung des Tumormarkers CA 19-9 (und / oder des CEA) zumindest alle 4 Wochen, teils auch alle 14 Tage.

Die Einbeziehung des Tumormarkers CA 19-9 in die Verlaufskontrolle basierte auf unseren Erfahrungen der vorangegangenen Jahre, die zeigten, daß das CA 19-9 – auch wenn es kein „idealer“ Tumormarker ist und auch mal bei entzündlichen Erkrankungen der Gallenwege und der Bauchspeicheldrüse „falsch“ hohe Werte ergeben kann – vieles „frühzeitiger“ zuerkennen erlaubt, als wenn der Arzt die Verlaufskontrolle nur mit den bildgebendenVerfahren CT und/oder MRT durchführt.

Denn:

- Durch den gleichzeitigen Einsatz des CA 19-9 (alle 2-4 Wochen) zusammen mit den bildgebenden Verfahren (alle 6-8 Wochen) läßt sich in vielen Fällen ein Rezidiv eines Pankreaskarzinoms durch einen Anstieg des CA 19-9 im Serum mehrere Wochen bisMonate früher erkennen als mit den bildgebenden Verfahren allein. Und

- durch den gleichzeitigen Einsatz des CA 19-9 (alle 2-4 Wochen) zusammen mit denbildgebenden Verfahren (alle 6-8 Wochen) läßt sich in vielen Fällen die Antwort eines Tumors auf eine palliative Therapie um mehrere Wochen frühzeitiger erkennen alsmit den bildgebenden Verfahren allein; dies gilt sowohl für das Ansprechen auf eineTherapie als auch für einen erneuten Progreß nach einem initialen Ansprechen aufeine Therapie.

Eine schnellere Erkennung des primären Ansprechens (Remission oder Progress) auf eine Therapie oder eines erneuten Progresses unter/nach einer initial erfolgreichen Therapie kann wiederum für den individuellen Patienten viele Vorteile bieten:

- Wird z.B. eine Chemotherapie durch den Einsatz des Tumormarkers CA 19-9mehrere Wochen früher als nicht wirksam oder nicht mehr wirksam erkannt, dann können dem Patienten z.B. evtl. unnötige, da unwirksame Chemotherapien und deren Nebenwirkungen erspart und damit unnötige Kosten für ineffektive Chemotherapienvermieden werden.

- Darüberhinaus kann durch eine frühzeitigere Beendigung einer nicht oder nicht mehr wirksamen Therapie evtl. wertvolle Zeit (mehrere Wochen bis Monate) gewonnen werden, um doch noch eine Zweit- oder auch Dritt- oder Viert-Linien-Therapie beginnen zu können oder einen Patienten evtl. auch in gerade laufende Phase I- oder Phase II-Studien einzuführen.

Auf diese Weise haben wir bei unseren Patienten bereits seit der Zeit um die Jahrtausendwende Zweit-Linien-Therapien bei ca. 70-80 % unserer Patienten durchführen können und Dritt-Linien-Therapien bei ca. 50 -60 %, während auch in den neuen prospektiven randomisierten klinischen Studien anderer Autoren über Zweit-Linien-Therapien wenn überhaupt, dann nur in bis zu 50 % berichtet wird, während sich über Dritt-Linien-Therapien in der Regel keine oder nur Angaben in bis zu 20% finden (vergl. z.B. die Angaben in einer aktuellen Übersichtsarbeit von O. Waldmann et al., Z. Gastroenterol. 2018,56, 578-582).

Leider werden unsere Vorstellungen einer adäquaten Nachsorge und Verlaufskontrolle aber nicht von allen Kollegen geteilt.

Als ein Beispiel für unterschiedliche Auffassungen über eine adäquate Verlaufskontrolle unter palliativer Therapie eines Patienten mit einem Pankreaskarzinomleiden sei im Folgenden eine Kasuistik gezeigt, die Herr Prof. Seufferlein Anfang diesen Jahres auf dem Deutschen Krebskongreß in Berlin als Beispiel für eine seiner Meinung nach adäquate sequentielle Therapie vorgestellt hat, und zwar, wie er meinte, als gutes Beispiel für eine erfolgreiche Zweit-Linien-Therapie eines Patienten mit einem Pankreaskarzinomleiden mit der Kombination von 5FU+nal-Irinotecan (Onivyde®) nach Erst-Linien-Therapie mit der Kombination von Gemcitabine + nab-Paclitaxel (Abraxane®).

Nach einer Whipple-Operation im Januar 2015 und anschließender adjuvanter Chemo-therapie über 6 Monate lag der Tumormarker CA 19-9 bei diesem Patienten bei 37 U/ml, also genau auf dem Grenzwert zwischen `noch normal` und `bereits erhöht`. Ca 6 Monate später wurde ein CA 19-9 Wert von 1356 U/ml gemessen, im CT bestätigte sich ein Lokalrezidiv. Unter einer anschließenden palliativen Therapie mit Gemcitabine+Abraxane® zeigten die Verlaufskontrollen nach weiteren 3 Monaten eine partielle Remission im CT und im Tumormarkerverlauf. Weitere 3 Monate später fand sich ein erneuter Progreß in derBildgebung mit neu aufgetretenen Lungenmetastasen und einem Anstieg des CA 19-9 auf2015 U/ml. Im Vortrag wurde der Verlauf bis zu diesem Zeitpunkt dokumentiert durch die Angabe der drei CA 19-9 Werte und die Wiedergabe der 3 CT`s. Anschließend wurde wegendes reduzierten Allgemeinzustandes auf eine Zweit-Linien-Therapie mit 5-FU+Onivyde®umgesetzt, die nach ca 5 Monaten angeblich vom Patienten abgebrochen wurde. Ohne Belege zu bringen, soll die 5FU-Onivyde®-Therapie wirksam gewesen sein, sie soll den Progreß der Tumorerkrankung gestoppt haben (SD). Weitere ca. 4 Monate später ist der Patient dann am Tumorleiden ohne weitere antitumorale Therapie verstorben.

(Schematische Darstellung des Verlaufes in Anlehnung an die im Vortrag gezeigten Daten)

Ich habe bisher trotz entsprechender Nachfragen nicht in Erfahrung bringen können, obweitere Kontrolluntersuchungen, d.h. häufigere Bestimmungen des CA 19-9 und häufigere CT-Untersuchungen, vorliegen.

Wenn nicht, wäre dies eine Verlaufsbeobachtung bzw. Verlaufskontrolle, wie sie im Interesseder individuell zu behandelnden Patienten heute eigentlich nicht mehr stattfinden sollte.

Denn eine kontinuierliche monatliche Bestimmung des Tumormarkers CA 19-9 seit der Operation hätte erlaubt:

- 1) eine frühzeitigere Erkennung des Rezidivs, und zwar entweder bereits 1-2 Monate nach Abschluß der 6-monatigen adjuvanten Therapie,
oder zumindest 1-2 Monate vor der in diesem Falle erfolgten Diagnose des Rezidivs im März 2016.

Es ist durchaus möglich, daß der Wert von 37 U/ml bereits Ausdruck eines erneuten Anstiegs des CA 19-9 gewesen ist, nämlich dann, wenn nach der inkurativer Intention durchgeführten Whipple-Operation das CA 19-9 in den ersten Monaten nach der Operation in den mittleren Normbereich von ca 15-20 U/mlabgefallen wäre. Eine Kontrolle 1 und 2 Monate nach dem Wert von 37 U/ml hätte dann mit großer Sicherheit einen weiteren Anstieg des CA 19-9 als Ausdruckdes Rezidivs angezeigt und eine Kontrolle durch eine gute Bildgebung erfordert. Bei einem Wert von 1356 U/ml zum Zeitpunkt der Rezidivdiagnostik kann mandagegen annehmen, daß monatliche Bestimmungen des CA 19-9 schonmindestens 1-2 Monate früher das Rezidiv durch einen signifikanten Anstieg auf Werte von mehreren hundert U/ml hätten nachweisen lassen.

sowie

- 2) eine frühzeitigere Diagnose des erneuten Progresses unter Gemcitabine+Abraxane®. Eine monatliche Bestimmung des Tumormarkers CA 19-9 nach dem Abfall auf 289 U/ml hätte den erneuten Progress durch einen erneuten Anstiegdes CA 19-9 sicher 1-2 Monate vor der erneuten Vergrößerung des Tumors in den bildgebenden Verfahren erkennen lassen. Möglicherweise auch schon früher, dass nach den eigenen Erfahrungen gut möglich ist, daß der CA 19-9 Wert von 289U/ml bei durchgehend monatlicher Bestimmung bereits den Wendepunkt in dem Tumormarkerverlauf unter der Chemotherapie angezeigt hat.

Eine monatliche Bestimmung der Tumormarker zusammen mit einem bildgebendenVerfahren zumindest alle 2 Monate, wie wir es seit jetzt 20 Jahren vorschlagen, hätte damitbei diesem Patienten erlaubt:

1) eine frühzeitigere Diagnostik des Rezidivs um mindestens 1-2 Monate und damit eine entsprechend frühzeitigere Einleitung der Erst-Linien-Therapie mit Gemcitabine+Abraxane®,

und

2) eine um mindestens 1-2 Monate frühzeitigere Erfassung des erneuten Progresses unter der Erst-Linien-Therapie.

Für den Patienten hätte dieses Vorgehen die folgenden für ihn günstigen Konsequenzenhaben können:

a)Wenn man durch monatliche CA 19-9 - Bestimmungen die Unwirksamkeit der Chemotherapie mit Gemcitabine+Abraxane® 1-2 Monate früher festgestellt hätte,dann wäre die Chemotherapie mit Gemcitabine+Abraxane® über diese 1-2 Monate wohl nicht fortgeführt worden. Das heißt, man hätte nicht nur mehrere tausend Euro einer nach initialer Wirkung nicht mehr wirksamen mehrwöchigen Gemcitabine+nab-Paclitaxel-Therapie eingespart (also ein mehrfaches der Kosten einer 14-täglichen CA 19-9-Bestimmung über den gesamten Zeitraum der Verlaufskontrolle bei diesem Patienten (x)), sondern auch das Risiko von potentiellen Nebenwirkungen dieser Therapie und der damit möglicherweise verbundenen Verschlechterung der Lebensqualität über diesen Zeitraum vermieden.

(x) Hätte man bei diesem Patienten über den Zeitraum von der Operation bis zum Tode monatlich das CA 19-9 bestimmt, wären das ca 21 Bestimmungen gewesen. Das entspricht insgesamt ca 450,00 €, d.h. weniger als 50% der Kosten einer einzigen Onivyde® Gabe, bzw. bei 14-tägiger Bestimmung wären es ca. 900,00 €, d.h. ca 70 % der Kosten einer einmaligen Gabe vonOnivyde® !)

b)Der Zeitgewinn durch frühzeitigere Diagnose des Rezidivs und frühzeitigere Diagnose des erneuten Progresses unter der Erst-Linien-Therapie hätte es erlaubt,die Zweit-Linien-Therapie mit 5FU+Onivyde® um ca 2-4 Monate früher zubeginnen als tatsächlich geschehen. Für diesen Patienten hätte dieswahrscheinlich auch bedeutet, daß die Zweit-Linien-Therapie im Juli/August 2016in einem besseren Allgemeinzustand hätte gestartet werden können als im November 2016. Vielleicht hätte man dann auch als Zweit-Linien-Therapie das FOLFIRINOX anwenden können, das zumindest in der Erst-Linien-Therapie deutlich bessere Ergebnisse liefert als das 5FU+Onivyde® in der Zweit-Linien-Therapie.

c)Als Folge des unter a) und b) geschilderten Zeitgewinnes wäre dann auch die Zweit-Linien-Therapie mit 5-FU+Onivyde® nicht erst im März 2017 abgebrochen worden, sondern ebenfalls bereits 2-4 Monate früher. Damit hätte dann wahrscheinlich auch die Möglichkeit der Einleitung einer Dritt-Linien-Therapie bestanden, z.B. mit 5-FU + Oxaliplatin, einer Therapie, die sich zumindest als Zweit-Linien-Therapie in einer prospektiven randomisierten klinischen Studie bereits früher bewährt hat (U. Pelzer et al. 2011), und die nacheigenen Erfahrungen auch als Dritt-Linien-Therapie beim Pankreaskarzinom Wirkung zeigen kann.

Da zur Zweit-Linien-Therapie mit 5FU+Onivyde® vom Vortragenden nur gesagt wurde, daß mit dieser Therapie ein stabiler Verlauf (SD) erzielt werden konnte, aber keine CT-Dokumentation und keine CA 19-9 Bestimmungen über die Behandlung von 4-5 Monaten im Vortrag angegeben wurden, ist für diese Therapiephase eine Beurteilung für einen Außenstehenden nur unter Vorbehalt möglich.

Es ist aber durchaus möglich, daß bei diesem Patienten auch die 5FU+Onivyde®-Therapieunnötig lange durchgeführt worden ist, mit all den oben genannten möglichen Nachteilen bezüglich unnötiger Therapiekosten, unnötigen Zeitverlustes, unnötiger Nebenwirkungen und Nicht-Ausschöpfung der heute möglichen therapeutischen Optionen für eine Dritt-Linien-Therapie.

Denn wenn sich die Aussage des Vortragenden „stabiler Verlauf“ auf einen stabilen Verlauf inden bildgebenden Verfahren bezieht, dann ist zu bedenken, daß ein angeblich stabilerVerlauf in der Bildgebung (Größenänderung unter Therapie nach 2 Monaten weniger als+25% der Ausgangsgröße) in vielen Fällen mit einem weiteren, wenn auch oft langsamerenAnstieg des Tumormarkers CA 19-9 einhergeht – eben als Ausdruck eines weiteren, allerdings unter der Therapie verzögerten Progresses der Grundkrankheit. Wenn noch andere Therapieoptionen zur Verfügung stehen, wie in diesem Fall eine Behandlung mit 5FU+Oxaliplatin, hätte also die Therapie nicht erst nach ca 4 Monaten, sondern evtl. bereits 1-2 Monate früher abgebrochen und, wenn möglich, auf ein Dritt-Linien-Schema mit evtl. erneuter günstiger Beeinflussung des Tumorleidens umgesetzt werden können oder sollen.

In gleicher Weise müßte diskutiert werden, wenn sich die Aussage des Vortragenden „stabiler Verlauf“ auf einen stabilen Verlauf des CA 19-9 im Serum bezieht, da ein stabiler Verlauf des CA 19-9 vielfach nur Ausdruck einer mehr oder weniger ausgeprägten therapiebedingten Wachtumsverzögerung ist. Diese kann zwar in der Bildgebung über einenmehr oder weniger langen Zeitraum noch als stabiler Verlauf (Größenänderung weniger als +25% der Ausgangsgröße) imponieren (sog. pseudostabiler Verlauf), insbesondere wenn man die jeweils aktuellen Bilder nur mit den unmittelbar vorangehenden Bildern, aber nicht mit einer evtl. vorliegenden Bildserie vergleicht. Bei sorgfältiger, heute möglicher Auswertung/Ausmessung der Tumorläsionen in den bildgebenden Verfahren wird man aber in den meisten Fällen doch einen Progress des Tumorwachstums feststellen können, wenn auch vielleicht noch in einem Bereich von nicht mehr als +25% der ursprünglichen Tumorgröße.

Übrigens auch dann, wenn den behandelnden Ärzten in einem individuellen Fall keine weiteren Standard-Therapien für eine Dritt- oder Viert-Linien-Therapie mehr zur Verfügung stehen sollten, könnte ein Zeitgewinn von 3-4 Monaten durch eine gleichzeitige Bestimmung des Tumormarkers CA 19-9 mit den bildgebenden Verfahren für den Patienten von Bedeutung sein. Der Patient hätte dann zumindest die Chance gehabt, sein Einverständnis vorausgesetzt, noch von einer Phase I- oder auch Phase II-Studie zur Evaluierung neuer Therapieansätze profitieren zu können, wenn entsprechende Studien gerade um Aufnahmevon Patienten bemüht wären.

Warum die Verantwortlichen für die `S3-Leitlinien zur Diagnostik und Therapie des Pankreaskarzinoms` sich die letzten 15 Jahre derart beharrlich weigern, ein Statement zum Einsatz von Tumormarkern im Rahmen von klinischen Therapiestudien bzw. im Rahmen individualisierter Therapien in der täglichen onkologischen Praxis abzugeben, bzw. sich die vergangenen 15 Jahre geweigert haben, adäquate Tumormarkerbestimmungen in die Verlaufskontrolle im Rahmen prospektiver randomisierter klinischer Studien einzubeziehen, entweder um sie bereits für die Verlaufsbeurteilung heranzuziehen oder aber umzuverlässige eigene Erfahrungen zu sammeln, ist mir nicht bekannt. Ärztlich-medizinische Gründe dürfte es meines Erachtens für diese Verweigerungshaltung nicht gegeben haben bzw. zur Zeit auch nicht geben.

Leider geben auch aktuelle Übersichtsarbeiten heute noch die Meinung dieser Verantwortlichen wieder. So wie sich in den S3 Leitlinien von 2013 kein Hinweis auf einen vernünftigen Einsatz des CA 19-9 zur Therapieüberwachung bzw. Verlaufskontrolle dieser Patienten findet, so erwähnen auch aktuelle Übersichtsarbeiten zur systemischen Therapiedes Pankreaskarzinoms das CA 19-9 nicht als einen, in Kombination mit den bildgebenden Verfahren potentiell wertvollen Parameter zur Beurteilung der Therapiewirksamkeit. (z.B. O.Waldmann et al. Z. Gastroenterologie, 2018, 56, 578-582 oder M. Sinn et al., 2018,Onkologie, 2018, 18, 39-43).

Wie schon früher ausgeführt, ist der Tumormarker CA 19-9 (ebenso wie das CEA) kein sog. „idealer“ Tumormarker. Er ist nicht geeignet, kleinste Tumorläsionen zuverlässig zu erfassen (keine Frühdiagnostik eines Pankreaskarzinomleidens), er kann auch im Rahmen entzündlicher Erkrankungen, insbesondere des Gallenwegssystems und der Bauchspeicheldrüse, ansteigen (dann aber immer nur vorübergehend) (keine Tumor-Spezifität), ebenso auch im Rahmen anderer Tumorerkrankungen (keine Organ-Spezifität), auch produzieren ca. 5-10% aller Pankreas-Adenokarzinome kein CA 19-9.

Trotzdem ist das CA 19-9 u. E. auch heute noch bei kritischem Einsatz in Kombination mit der Klinik und den bildgebenden Verfahren in der Verlaufskontrolle eines Pankreaskarzinomleidens für eine optimierte personalisierte/individualisierte Behandlung und Betreuung der Patienten aus ärztlicher Sicht unverzichtbar.

Die Frage, ob die Suche nach neuen Parametern, wie zirkulierenden Tumorzellen, z.B. Exosomen oder anderen biochemischen Parametern einer Tumorzelle, in naher oder ferner Zukunft soweit Erfolg haben wird, daß sie den Tumormarker CA 19-9 (und/oder CEA) als Tumormarker der ersten Wahl für das Pankreaskarzinom einmal ablösen werden, ist zur Zeitnicht zu beantworten – so sehr auch die Entdeckung und klinische Einführung eines imVergleich zum CA 19-9 noch sensitiveren und spezifischeren „Tumormarkers“ zu wünschen ist.

R. Klapdor
August 2018